Gedenken an Helmut Schmidt Rhen
(7.9.1936–3.7.2025)
Klaus Meyer
Seit dem 3. Juli 2025 ist für mich ein treuer Freund und immer anregend kreativer Gesprächspartner nicht mehr da. Prof. Helmut Schmidt Rhen ist gestorben, ein bedeutender Gestalter, Typograf, Designer, Künstler, Hochschullehrer, wegweisend für viele Kreative im Bereich der visuellen Kommunikation seit 1960. Professionell als Gestalter fühlten wir uns beide zudem verbunden durch die an der HfbK Kassel von Prof. Hans Hillmann geprägten Kassler Schule.
Mit Gerd Fleischmann, Hermann Schlieper, Erik Spiekermann, Hans Peter Willberg war er 1984 einflussreicher Mitbegründer des Forum Typografie. Die Context-Gruppe, eine Versammlung engagierter Eigentümer anspruchsvoller Setzereien aus der ganzen Republik, war zudem produktionstechnischer Katalysator.
Nach dem 1. Mitgliedertreffen in Berlin-Kreuzberg wurde ein Verein („der keiner sein wollte“, der Gemeinnützigkeit wegen aber sinnvoll) zügig gegründet. Ein offizieller Zusammenschluss von Typografen ohne Markenzeichen? Undenkbar! Ein Logo musste her. Wäre unter so vielen „Schrift-Gelehrten“ eigentlich kein Aufwand, aber eine Qual der Wahl. So wie H. P. Willberg so ganz spontan unseren Slogan „Nicht das Kapital verbindet uns, sondern die Kapitälchen“ en passant verkündigte, so legte ad hoc Helmut Schmidt Rhen das von allen sofort akzeptierte, einleuchtend richtige Zeichen vor: das T. – einfach klar, selbstverständlich, selbstbewusst.
Der Clou war dann der erste Briefbogen: Dieses Versal-T (mit dem Geviert-Quadrätle neben sich) war, seitenverkehrt wie eine Bleiletter, groß, zentriert auf die Rückseite gedruckt, wurde also erst lesbar, seitenrichtig sichtbar, wenn man das Blatt in Händen hielt, quasi einen Durchblick gewann. Ein typischer Schmidt-Rhen-Entwurf. Der sollte aber nach seinem Vorschlag nur für ein Jahr gelten. Kollegial vertraute er auf die Kreativität der vereinten Typomanen und empfahl das jedes Jahr ein neuer Briefbogen von einem der Mitglieder gestaltet wird: als Zeichen der „Identität der Einigkeit zur Vielfalt“.
Seine Morsbroich-Plakate, so, wie die Plakate für den Kunstverein Hannover, die IBM-Kampagne für ggk und viele weitere Gestaltungen sind bis heute maßgebende Vorzeige-Exemplare für erfindungsreiche, systematische Typografie. Scheinbar aleatorisch Zeilen folgen stets einer geometrisch genau kalkulierten Ordnung. Dabei spielt oft das Trägermaterial Papier in Format, stofflicher Qualität, durch Faltung und Beschnitt im Zusammenspiel mit der gedruckten Typografie zusätzlich noch eine ganz besondere Rolle, sodass ein prinzipiell zweidimensionales Printobjekt zu einem dreidimensionalen Designobjekt wird. Dies zeigt sich auch deutlich in Helmut Schmidt Rhens Corporate Design-Lösungen und Leitsystemen in Gebäuden, wo Typografie de facto im Raum wirkt.
Nicht nur die Morsbroich-Plakate sind für Gestaltungen bis heute maßgebend und stehen für eine erfindungsreiche, systematische Typografie.
Dieses Prinzip, stets systematisch zu arbeiten, verfolgte er auch in seiner Eigenschaft als bildender Künstler. In den späteren 1950er und 1960er Jahren – das legendäre Bauhaus schien vergessen, Nierentische und Tütenlampen bestimmten jegliche Interieurs – wurde als Gegenpol zum Informell, der vorherrschenden Malerei in den ersten Nachkriegsjahren, das Konkrete wiederentdeckt. So faszinierte Helmut schon im Studium in Kassel und später in seiner Basler Zeit, freundschaftlich verbunden mit Karl Gerstner, die vornehmlich im deutschen Süden, in der Schweiz und in Teilen Österreichs aufkommende Konkrete Kunst, Konkrete Malerei und Konkrete Poesie.
Eugen Gomringer, erst kürzlich 100-jährig verstorben, galt als deren wesentlicher Vorreiter. Er proklamierte die konsequente Kleinschreibung, so wie Max Bill, Otl Aicher, Hans Magnus Enzensberger und viele weitere Künstler, Schriftsteller, Architekten und Gestalter, also auch Helmut Schmidt Rhen.
Das visuelle Gestalten nach Programmen war dabei Programm. Kybernetik und Informationstheorie wurden die bestimmend angesagten neuen Forschungsgebiete, die gegründete HfG Ulm galt als Elite-Hochschule und wurde vielseitig mit Stolz als eine Wiedergeburt des Bauhauses angesehen. Das erschien wie eine Katharsis, eine Art kultureller Neuanfang in der jungen Bundesrepublik.
Die sog. Schweizer Typografie fungierte mit der Helvetica als Maßstab des Fortschritts bei den Satzschriften im grafischen Gewerbe, verdrängte eine Weile sogar die Antiqua-Schriften beim Fließtext.
Helmut Schmidt Rhen blieb trotz dieser Ordnungsliebe dennoch immer ein Freigeist, konsequent, aber keineswegs fanatisch, sondern offen für alle möglichen Denkmuster und Kunstrichtungen, interessiert an noch so ausgefallenen Ausdrucksformen in der visuellen Kommunikation. Diese liberale Haltung verfolgte er auch in seiner Lehrtätigkeit als Professor in Düsseldorf, die einen beachtlichen Designer-Nachwuchs hervorbrachte. Ohne Vorbehalt pflegte er rege Kontakte und Freundschaften zu unterschiedlichsten Kunstschaffenden aller Disziplinen, vom Akrobaten bis zum Musiker des damals noch so bezeichneten „Zigeuner-Jazz“. Neben seinen eigenen Arbeiten finden sich sowohl Werke von Hans Haake als auch Original-Cartoons von F. K. Waechter vereint an den Wänden seiner Wohnung, die er mit Doris Hartmann seit Jahrzehnten geteilt hat. Ihr fehlt nun nicht so sehr der akribische Künstler, sondern vor allem der liebevolle, humorvolle Lebenspartner.
Seine kulturelle Neugier und seine trefflich gewitzten Aperçus im Dialog über seine Beobachtungen machten das Beisammensein mit ihm jedes Mal besonders vergnüglich.
Viel Spaß bereitete er auch mit seiner Aktion strassendrucke, als er mit einer fahrbaren Druckwerkstatt durch Städte reiste und farbige Abdrucke von diversen Gully-Deckeln, also öffentlich vorfindbaren Druckstöcken auf der Straße, erstellte. Im SZ-Magazin konnte ich damals als Art-Director eine Bild-Reportage dazu veröffentlichen. Eine Ausstellung dieser originellen Druckgrafiken gab es 2019 in der „9k-Galerie für Ding Bild Wort Laut“ von Victor Malsy und Thomas Hilliges.
Helmut Schmidt Rhen bei der Eröffnung der Ausstellung strassendrucke in der 9k-Galerie für Ding Bild Wort Laut. Rechts daneben sind der Druckprozess und Arbeiten zu sehen.
Unser Gründungsmitglied Helmut Schmidt-Rehn ist im Alter von 89 Jahren in Hamburg gestorben. Die Gemeinschaft der Typograf*innen in diesem Forum bedankt sich mit Stolz für das bis heute bestehende Zeichen T., dass er für uns von Anfang an ganz deutlich gesetzt hat.
Quellen
Alle Abb. der Arbeiten von Helmut Schmidt Rhen © Helmut Schmidt Rhen/Doris Hartmann, Veröffentlichung genehmigt
9k-Galerie für Ding Bild Wort Laut, Victor Malsy und Thomas Hilliges, © Fotografie Monika Malsy, Veröffentlichung genehmigt
Roland Henß u.a.: poesie der systematik – design: schmidt rhen. (Ausführliche Übersicht zu Typografie, Design, Kunst von Helmut Schmidt Rhen) Hermann Schmidt Verlag, Mainz 1996
helmut schmidt rhen: strassendrucke. In: 9k-Galerie. 9k-Galerie Willich, 2019
Anita Kühnel: Die Poesie des Konkreten – Plakate und Graphik der Kasseler Schule. Staatliche Museen zu Berlin, Berlin 2000
Hintergrund
Bezüge zu Personen – Freunde, Wegbegleiter, anregende Vorbilder:
Wegbegleiter, interessenverbunden: Hans Hillmann, Karl Gerstner, Christian Chruxin, Wolfgang Schmidt, Diter Rot, Arno Stolz, Anton Stankowski, Paul Talman, Rudolph Lichtsteiner, Hartmut Böhm, um nur einige zu nennen.
Interessiert an politisch orientierten, künstlerischen Aussagen: Hans Haake, Ai Weiwei, u.a.
Spiel, Humor, Ironie: Robert Gernhardt, F. K. Waechter. (Er bevorzugte diese der beiden namhaften Frankfurter Schulen.)
Kooperationen Design: Eckhard Jung, Roland Henß, Uwe Lösch, Victor Malsy
Initiator des Forum Typografie 1984, zusammen mit Gerd Fleischmann, Hermann Schlieper, Klaus Winterhager, Erik Spiekermann, Hans Peter Willberg und anderen




